Ein historisches Dokument gegen den weiteren Niedergang des einstigen „Spandauer Ku’damms“
Von Reinhard Tantow
Mit Abbildungen von Frank Meyer und
Fotos von Emilio Paolini
Am 26. November 2015 fand eine offizielle „Begehung“ der Pichelsdorfer Straße statt. Teilnehmer waren Mitarbeiter des Bezirksamtes Spandau, der zuständigen Dienststelle der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, des Prozesssteuerers KoSP (Koordinationsbüro für Stadtentwicklung und Projektmanagement) sowie drei Mitglieder der AG Verkehr der Stadtteilvertretung Wilhelmstadt. Die Begehenden nahmen sich einige Stunden des Vormittags Zeit, um sich einen Gesamteindruck, aber auch einen genaueren Einblick in die Einzelheiten des seit mittlerweile Jahrzehnten beklagenswerten Zustandes der Pichelsdorfer Straße zu verschaffen.
Die Ergebnisse dieser stadtentwicklungspolitischen Exkursion wurden nun, nach mehr als zwei Monaten, vom KoSP in einer amtlich als „Vermerk“ bezeichneten Niederschrift festgehalten. Wir wissen es: Was lange währt, wird schließlich gut! Die Details können also dort nachgelesen werden. Unser Bürgerforum „Meine Wilhelmstadt“ hat hoffentlich das Recht, das aufschlussreiche Papier über seine Website www.meine-wilhelmstadt.de zu verbreiten.
Es wird in den kommenden Jahren darum gehen, sich um die Straßenbeleuchtung, um die Bürgersteige, vor allem aber auch um die Straßenbäume zu bekümmern. Es handelt sich in der Hauptsache um Robinien. Ihr Gesundheitszustand gibt großenteils Anlass zur Sorge; etliche Bäume werden wohl gefällt werden müssen. Dabei sind die Voraussetzungen dafür, Bäume zum Wachsen zu bringen, in der Wilhelmstadt nicht nur nicht schlecht, sondern sogar recht gut. Bei der Beurteilung dieser Dinge spielen die Bodenverhältnisse und der Grundwasserstand eine entscheidende Rolle.
Zielvorstellung sollte eine gefällige, sympathische, attraktive Mischbepflanzung sein. Linden sind allem Anschein nach nicht zu empfehlen.
Genauer in Augenschein genommen wurde die Kreuzung Pichelsdorfer Straße/Weißenburger Straße. Es handelt sich dabei bekanntlich um einen Knotenpunkt, an dem sich die beiden Straßen nicht in idealer, gerader Linie kreuzen; vielmehr sind westlicher und östlicher Abschnitt der Weißenburger Straße gegeneinander versetzt.
Die Auswertung eines Luftbildes (Google Earth) ergab für den Abstand der Straßenachsen der westlichen und östlichen Weißenburger Straße mitten im Kreuzungsbereich mit der Pichelsdorfer Straße einen Wert von ca. 11 m – ca. 14 m. (Der mittlere Fehler bei dieser Messung beträgt ca. +/- 2 m.) Die Autofahrer werden also beim Überqueren der Kreuzung zu einer leichten Kurvenfahrt gezwungen.
Das daraus resultierende Gefahrenpotential für die schwächeren Verkehrsteilnehmer wird durch überaus hässliche, aber immerhin stabil anmutende, durchaus zweckmäßig erscheinende Metallbarrieren gemindert. — Aus der engagierten Diskussion an Ort und Stelle ergab sich der interessante Vorschlag, den für den Straßenverkehr weniger wichtigen westlichen Teil der Weißenburger Straße, der schon lange zur Wilhelmstraße in einer Sackgasse endet, zukünftig auch vor der Pichelsdorfer Straße komplett abzuschließen. Den Anwohnern blieben über das umliegende Straßennetz genügend Möglichkeiten zur Anfahrt und zur Parkplatzsuche.
Quellen: ergänzte Grafik Geodatenportal Berlin / ergänzter Kartenausriss OpenStreetMap
Kontrovers wie immer wurde auch bei dieser Gelegenheit über die Zukunft des Metzer Platzes debattiert. Die Mitglieder der AG Verkehr schlugen einmal mehr vor, den zentralen Bürgerplatz der nördlichen Wilhelmstadt zu einer der Hauptsachen, zu einem Hauptanliegen des Sanierungsprozesses zu machen, stießen dabei aber leider auf wenig Gegenliebe. Die kommunale Obrigkeit möchte sich auf die Pichelsdorfer Straße konzentrieren, um dort in aller Ruhe verkehrsberuhigende Maßnahmen durchzuführen, gegen die natürlich im Prinzip nichts einzuwenden ist. — Der letzte Absatz des Begehungsprotokolls spricht in dieser Hinsicht bedauerlicherweise Bände:
„Abschließend bleibt anzumerken, dass der Metzer Platz hier nicht Gegenstand der Betrachtung ist. Anregungen seitens der Stadtteilvertreter, bei zukünftigen Planungen die angrenzenden privaten Grundstücksfreiflächen der Pichelsdorfer Straße 110/106 und 116/118 miteinzubeziehen, werden zur Kenntnis genommen.“
Es ist evident, dass gegenwärtig der Fahrzeugverkehr auf der Hauptverkehrsstraße den Metzer Platz bis zur Unkenntlichkeit entstellt. Der Platzcharakter verschwindet beinahe vollständig. Die Pichelsdorfer Straße gibt dem Metzer Platz gewissermaßen — die Axt. Diese fatale Marginalisierung der für den Aufenthalt, für das Flanieren der Bürgerinnen und Bürger, für Kinderspiel und Gastronomie vorhandenen Flächen wird noch durch die Aufbauten der Firma Wall verstärkt, die — nomen est omen — wallartig und parallel zum Straßenverlauf den dahinter liegenden Platz verbergen und so dem Autofahrer erst recht den Eindruck vermitteln, auch an diesem Ort der kleine, aber feine, weil motorisierte Herr allen Geschehens zu sein.
Die AG Verkehr schlägt im Gegensatz dazu vor, die Vorstellung von dem, was der Metzer Platz vielleicht in Zukunft einmal sein könnte, räumlich radikal zu erweitern. Wir denken dabei an eine einheitliche oder vereinheitlichende Umgestaltung, die südlich schon auf der Höhe Zimmerstraße beginnt, die privaten Areale vor Woolworth und Kaiser’s einbezieht und sich mindestens bis zum Beginn der Jägerstraße in Richtung Norden erstreckt.
Dem Autofahrer sollte mit allen erdenklichen Maßnahmen der Eindruck vermittelt werden, er sei gerade eben im Begriff einen belebten und beliebten Bürgerplatz zu durchqueren. Gegenwärtig ist, wie gesagt, eher das Gegenteil der Fall. Die Fußgänger haben sich unterzuordnen, stillezustehen und abzuwarten. Sie werden nicht als gleichberechtigte Verkehrsteilnehmer behandelt, sondern erscheinen als subalterne und unvermeidliche Subjekte, die die in jedem Fall vorrangigen motorisierten Verkehrsabläufe möglichst wenig zu stören haben.
Zum Abschluss unserer überaus sinnvollen „Begehung“ der Pichelsdorfer Straße, die, von der AG Verkehr einmal abgesehen, sämtliche Entscheidungsträger gemeinschaftlich in die nächste Nähe der Problemzonen brachte, wurde eine vorläufige Bilanz gezogen, welche an Deutlichkeit wenig zu wünschen übrigließ: „Die Pichelsdorfer Straße ist abgewohnt.“
Berlin-Spandau, 8. Februar 2016